In der Corona-Krise melden sich auch Philosophen zu Wort – und denken über die Pandemie hinaus. In dieser Reihe werden einzelne philosophische Positionen vorgestellt. Im ersten Beitrag des neuen Formats AnsichtsSachen fragt Pfarrer Dr. Marc Röbel mit dem tschechischen Philosophen und Priester Tomáš Halík über die Botschaft der „Krankheits-Bilder“ nach. Den Beitrag „Christentum in Zeiten der Krankheit“ von Tomáš Halík finden Sie unter folgendem Link: http://www.venio-osb.org/fileadmin/content/halik-theologie-pandemie.pdf

Mit einem Deutungsvorschlag für die Zeit der Pandemie hat sich kürzlich auch der tschechische Philosoph und Soziologe Tomáš Halík zu Wort gemeldet. Er analysiert das Krankheitsbild der Corona-Krise nicht von den Befunden der Virologie her. Die Krankheit wird zum Bild für die Gegenwart. Schon der erste Satz seines Beitrags lässt aufhorchen: „Unsere Welt ist krank.“ Solche Deutungsversuche sind nicht ganz neu. Albert Camus hat seinen philosophischen Roman „Die Pest“ unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht. Sein Thema ist nicht nur die Ausbreitung einer Seuche in der französischen Stadt Oron. Ihm geht es um eine mentale Durchseuchung. Europa und die Welt, so wollte Camus sagen, sind vom Virus des Krieges, aber auch der sozialen Entfremdung befallen.

Ganz ähnlich nimmt Halík das Corona-Thema auf, um auf die „tieferen Zusammenhänge“ hinzuweisen. Covid19 führt nicht nur unser Immunsystem in eine Krise. Die Krankheit erschüttert unser Selbstbewusstsein. Hier zeigt sich die „globale Verwundbarkeit der globalisierten Welt“. Einige „bösartige Viren“, die unsere Zivilisation befallen haben, lassen sich nach Halík klar benennen: Angst, Hass, Populismus und Nationalismus. Aber diese Krise bringt auch helle Facetten ans Licht, nämlich eine „solidarische und aufopfernde Liebe.“ In solchen Beobachtungen liegt nicht die eigentliche Stärke seiner Diagnose. Halík ist nicht nur Diagnostiker, sondern auch Therapeut. Das Therapiekonzept heißt Besinnung.

Als Philosoph will er seine Mitmenschen zur Vernunft bringen. Als Geistlicher, der während der kommunistischen Zeit der tschechischen Untergrundkirche angehört hat und heimlich zum Priester geweiht wurde, versteht er die Corona-Krise auch als eine Zeit der Exerzitien. Die Corona-Bilder können zu Bildern der Meditation werden. Halík nimmt das Bild der leeren Kirchen auf. Es gibt bei vielen Kirchenmitgliedern und –verantwortlichen den verständlichen Impuls, so schnell wie möglich zur „Normalität“ zurückzukehren. Aber was heißt hier „normal“? Halík mutet uns zu, den Bildern der leeren Kirchen nicht auszuweichen. Corona macht sichtbar, was schon lange erkennbar war. Die leeren Kirchenbänke könnten so etwas wie ein „Fernrohr“ in die Zukunft sein. So lassen sie sich nicht wieder füllen: nicht durch eine pastorale „Zählsorge“, die nur auf Statistiken schielt; schon gar nicht durch lustige Event-Liturgien. Wer sich darauf verlässt, sollte nach Halík dringend Nietzsche lesen: Der „tolle Mensch“, von dem Nietzsche erzählt, sucht Gott. Das ist für Halík der entscheidende Impuls: Gott ist unter den Suchenden. Die Suche nach Sinn und nach dem, was unserem Leben „Tiefe“ gibt, kann „Gläubige“ und „Ungläubige“ verbinden.

Der Nietzsche-Leser Halík sieht keinen Grund zum Pessimismus. Und auch die momentanen Kontaktbeschränkungen sind für ihn nicht ausschließlich negativ. Sie sind für ihn eine Einladung zur „kontemplativen Distanz“. Das lässt sich mit einem letzten Bild erläutern: Es hat viele Menschen berührt, Papst Franziskus auf dem leeren Petersplatz zu sehen. Die Botschaft war: Gott lässt uns nicht allein durch diese unberechenbare Zeit gehen. Er spricht zu uns, sogar durch die Bilder der leeren Plätze, der leeren Kirchen. Was wollen diese Bilder uns eigentlich sagen? Mir sagen sie: Die Kirche lebt nicht nur in der äußeren Fülle. Sie lebt auch in kleinen Räumen und in Zeiten der Stille. Einen Impuls für die Stille finden wir bei Halík „Unsere Welt ist krank.“ Und wie wird sie gesund? Die Gesundung könnte mit der Frage beginnen: Was haben die Bilder der Krankheit mir persönlich zu sagen?

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